01 | Neulich in Australien
„Hey Franky,“ rief Thomek. „Hast du Lust und Zeit auf ein Bier?“ Er deutete hinter sich auf die Bar. Ein Barkeeper polierte gerade Gläser, drei ausgetrocknete und hagere Gestalten hingen über dem Tresen. „Puh,“ atmete Franky aus, „weißt du, ich bin gerade nur auf der Durchreise. Bevor es dunkel ist, wollte ich in Madura sein.“ Thomek setzte sein Ich-versteh-dich-doch-Lächeln auf. „Du bist in letzter Zeit so selten hier unten,“ er zeigte mit ausgestrecktem Arm auf das Meer und den Sand. Franky seufzte. Wenn er auf der Durchreise war, hielt er immer in dem kleinen verschlafenen Nest hier. Es war ein Umweg, aber sein alter Freund Thomek hatte sich vor zu vielen Jahren, als das es Sinn machen würde, darüber nachzudenken, entschieden, hier zu bleiben. Er selber hatte sich in die großen Städte Australiens insbesondere Adelaide verliebt. Wenn alles gut lief, kam er einmal im Monat hier vorbei. Wenn es nicht so gut lief vergingen drei oder vier Monate.
Franky stiefelte zur Bar, deutete auf zwei Flaschenbiere, zahlte und gab seinem alten Freund eine Flasche. „Draußen“, sagte er. Und ging in die warme Nachmittagssonne. Thomek lächelte. Es passierte nicht oft, aber wenn, dann konnte so der Anfang für viele weitere Biere sein und Franky würde irgendwann im Morgengrauen fragen, ob er ein paar Stunden bei Thomek und seiner Frau schlafen könne, um auszunüchtern.
Thomek hielt Franky sein Bier hin. Beide stießen an. „Auf Australien“, sagte Thomek lachend. „Auf Australien,“ wiederholte Franky.
Nach den ersten Schlücken und einer kurzen Pause sagte Franky: „Schau dir das an,“ er ließ seine Hände durch die Luft wirbeln und deutete auf den Staub in der Luft, auf den Sand zu ihrer Rechten, den Ozean auf der Linken und auf eine Straße die in die Unendlichkeit zu führen schien. „Deshalb sind wir hier hergekommen, nur deshalb.“
Franky nickte zustimmend, „Hast du manchmal das Gefühl, es war ein Fehler Deutschland zu verlassen?“ Thomek lachte laut los. Ach, wie Franky dieses Lachen mochte. Es war so ehrlich und er kannte es seit ihren Kindertagen. Er grinste.
„Scheiße, nein, man, “ sagte Thomek, „uns geht es doch gut hier. Und hey, du hättest nie Trudy kennen gelernt und ich wäre jetzt nicht mit Beth verheiratet.“ Jetzt lachte auch Franky. Es war nicht nur dieses wunderschöne Land, es waren auch ihre Frauen, warum sie hier geblieben sind. Früher hatten sie noch Witze gemacht, dass sie Frauen kennengelernt hatten die englische Klischeenamen trugen. Das waren Zeiten.
„Du etwa?“ fragte Thomek ernst. Franky schüttelte den Kopf. „Nein, keine Sorge. Aus Deutschland abzuhauen war das Beste was wir machen konnten.“
„Auf Australien“, sie stoßen erneut an und tranken.
Ein Auto rauschte an ihnen vorbei. Es wirbelte Staub von der Straße auf und eine lange Wolke blieb zurück. „Was wolltest du mir sagen?“, fragte Franky, „du wirktest gerade, als ob du was auf dem Herzen hast. Es geht doch nicht wieder um die Kleine aus dem Supermarkt?“
Thomek lächelte traurig, „nein nein, keine Sorge.“ Er wischte sich Schweiß von der Stirn. „Darum geht es nicht.“ Er dachte einen Moment nach. Holte tief Luft, nahm einen Schluck Bier und blickte in die Wüste.
„Hier war neulich ein komischer Typ, er machte mir Angst.“ Thomek war ernsthaft besorgt, Franky kannte den Gesichtsausdruck. „Wie meinst du das?“
„Hier ist nicht viel los, du weißt was ich meine,“ Franky nickte, „Deshalb fiel dieser Typ auf. Er war aus Deutschland und erzählte mir eine Geschichte, die ich kaum glauben konnte.“
Hier kamen häufig Rucksacktouristen, frischgebackene Abiturienten und Studenten vorbei. Das war nichts Außergewöhnliches. Thomek holte tief Luft, dann erzählte er Franky seine Geschichte.

01 | Neulich in Australien
Ein Ford
Der Typ hieß Maik und er sagte, dass er aus Deutschland wäre. Er blieb eine Nacht hier im Gästezimmer dieser Bar. Sein Bart war lang, aber es schien nicht aus modischen Gründen zu sein, sondern weil er nicht erkannt werden wollte, so denke ich mittlerweile. Er war höchstens dreißig. Das Kurioseste war sein Auto. Ein alter orangefarbener Ford Taunus. Herr Gott habe ich so einen lange nicht gesehen. Unglaublich, dieses Fahrzeug. Modernisiert und sehr gut im Schuss. Er erzählte mir, dass es ein Geschenk seines Schwiegervaters war. Ich pfiff laut aus und unter schallendem Gelächter brüllte ich, Mensch, so einen Schwiegerpapa hätte ich auch gerne. Maik lächelte nicht und sagte, nein Sir, das hätten sie nicht.
Ich mochte diesen Typen irgendwie. Er sah zwar nicht wie diese Durchreise-Touristen aus, eher wie wir damals, als wir hier angekommen sind. Ich lud ihn auf ein warmes Abendessen und ein paar Bier ein. Weißt du Franky, ich denke, ich fand gut, dass er sich nicht unendlich freute, wie jeder andere, dass hier ein Deutscher an einer Bar sitzt. Er stellte auch nicht diese typischen Fragen: „Wie lange ich hier schon bin, ob es schwer war, wie ich das Klima aushalte und wie die Frauen hier sind.“
Maik trank sein erstes Bier fast auf ex aus. Ich war überrascht, hätte ich ihm nicht zugetraut. Er war äußerst dankbar, ich fragte ihn, warum er hier sei. Und mit jedem Bier erzählte er mehr. Er sagte, dass er aus Deutschland, aus Frankfurt käme und Dinge gesehen hat, die er nicht für möglich hält. Es fing damit an, dass seine Freundin einen Mordanschlag überlebt hatte und im Koma landete. Sie sollte getötet werden. Hörst? Er sagte, sie sollte umgebracht werden. Ich musste schlucken, was erzählte dieser Junge da?
Er fand raus, dass ihr Ex-Freund, ein Zuhälter und Drogenhändler, die Sache angeheuert hatte. Was für eine kranke Scheiße. Er wollte seine Ex-Freundin umbringen lassen. Maik ließ nicht locker, wollte wissen, was da los war, warum so eine Tat passierte und bezahlte fast mit seinem Leben. Er sagte, an seinen Händen klebe so viel Blut und er wisse nicht, wo es noch Frieden geben kann, zumindest für ihn. Frieden nuschelte er immer wieder, Frieden.
Die Ärzte würden es ein Wunder nennen, wenn seine Freundin aus dem Koma wieder erwachen würde. Wenn du mich fragst, wollte sich der Junge rächen, vielleicht hat er es schon getan. Er erzählte nach dem vierten Bier immer noch oberflächlich, keine Namen sind gefallen. Maik war sich sicher, dass sie ihn jagen würden, ihm die Kehle durchschneiden würden. Egal wer sie sind, offenbar hatte dieser Junge ein paar Tricks angewandt, um am Ende der Welt Frieden zu suchen und ihnen zu entkommen. Wer auch immer sie sein mögen. Und sie hatten ihn hier unten noch nicht gefunden. Verdammt, ich glaube dem Jungen, seine Augen waren so düster. Das hat er sich nicht ausgedacht.
Maik hat ganz am Schluss, kurz bevor er ins Bett gegangen ist, betrunken, wie er war, einen Namen genannt. Ich denke, es war ausversehen. Auf nach Nachfragen lallte er nur, schon gut, Sir.
Er sagte zum Schluss, dass er nicht verstehen kann, wie seine Freundin auf einen Typen wie Dax reinfallen konnte.
Franky riss seine Augen auf und atmete tief ein.
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!