Die alte Krähe

Die alte Krähe fliegt wieder

„Ein stürmischer und verregneter Herbsttag stand vor der Tür. Unfassbares Erstaunen vor mir selbst und dieser gesamten Welt, mit ihren hässlichen Fratzen und dieser Trauer. Der Regen klopfte ans Fenster, unablässig, laut und stur versuchte er sich in mein Hirn zu hämmern, meinen Geist zu vergiften und mich so in den Wahnsinn und schließlich, nach einem langen und anstrengenden Kampf, ohne Gnade und Vernunft, in den Tod zu stürzen. Für immer gefangen im Turm meiner Einsamkeit, so schielte ich wie ein alter Vertrauter der Dinge des Lichtes ins neblig erscheinende Antlitz der wolkenbehagenden Welt. Mein Herz schlug nicht mehr und mein Hirn wollte nicht denken, nicht heute und nicht morgen. Alles an mir, alles in mir und wirklich alles, was ich einst war, wollte nur noch aufgeben und die müden und blass gewordenen Augen zu Gunsten der ewigen Finsternis schließen und die Welt bergab stürzen lassen. Alles endet.

Die alte Krähe fliegt wieder

Die alte Krähe fliegt wieder

Doch an diesem einen Tag erblickte ich sie. Eine alte Krähe, die gegen den Sturm anflog. Sie kämpfte und verriet ihrem Feind nichts über ihre großen Geheimnisse. Sie lebte und liebte, sie aß und trank, aber sie sagte nichts, sie trotzte nur ihrem eigenen Heim, dem Sturm. Das Wasser tropfte in gleichmäßigen Fontänen aus ihrem Gefieder. Jeder Flügelschlag brachte sie langsam näher ans Ende dieser harten Zeit. Ja sie wusste es, musste es schon lange geahnt haben, noch bevor die Zeit die Erde hat weiter drehen lassen. Denn nun fiel es auch mir ein und ich konnte mich erinnern. Bald wird es wieder Sommer sein, spreche dir, der einen, die ich einst verlor meinen wahrhaftigen Dank!“

Ich sprach leise, dann verlor ich sie aus den Augen. Die alte Krähe ist in einer Wolke, die dunkel, riesig und bedrohlich die Welt zu verschlingen schien, verschwunden. Gedankentief sehnte ich mich völlig kraftlos, dennoch aufgewühlt, nach diesem Sommer, nach dieser Krähe, die mir den Weg durch den Sturm zeigen wollte.
„Ich habe sie verloren“, dachte ich erneut, doch ich wollte den Weg nicht aufgeben, den einen in mir aufsteigenden Drang, so war es nicht gedacht.

„Ich bin nicht verloren, auch wenn die Welt etwas anderes kreischt“, sagte ich erneut. Mit sich selber leise reden ist traurig und melancholisch. Mich in Sicherheit bringen erschien dagegen wie ein gut gemeinter und mir freundlichem Lächeln gesprochener alter Rat. Grotesk.

„Ich bin auch nicht gerettet.“
Das Wasser lief wie in Zeitlupe das Fenster hinunter, sammelte sich und plätscherte in die Tiefe. Wasser auf Wasser, sehr viel Wasser. Schwammig und aufgedunsen blickten meine blauen gläsernen Augen in die schwarz-graue sich wölbenden und bebenden Wolken.

„Sie bringen uns Unheil. Das kannst du mir glauben.“

Meine letzten Gedanken. Mein Bruder legte mir seine Hand auf die Schulter. Er konnte meine Worte die ich meinem blassen, durchsichtigen Spiegelbild im Fenster und dem Weltensturm dort draußen zu warf unmöglich gehört haben. Dennoch gefiel es mir nicht, wenn er sich an mich heranschlich. Ich war, wie oft in den letzten Monaten versunken in meiner Trauer und diesem realen Albtraum gewesen. Er trat neben mich und klopfte mit einer aufmunternden Geste gegen das Fenster.
„Scheiß Wetter“, sagte er mit einer hohen Stimme, die mich fröhlicher stimmen sollte. Er lächelte mich an und sagte: „Nimm’s nicht schwer. Das geht vorbei…. Irgendwann.“
Dann drehte er sich um und verließ das kleine Zimmer.
„Ja, hoffen wir es,“, murmelte ich kaum hörbar dem Turmfenster und dem dahinter liegenden Weltensturm, wie wir es mittlerweile nannten, entgegen.

01.05.2009
Julian Alexander Post

„Mal was Neues. Neu und frisch, aber irgendwie düster oder sowas. Entwickelt es sich? Vielleicht.“

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